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Warum heissen alle Klaus?

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INTRO

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JOSEPH NDOGMO

Gemeinderatsmitglied - Erdweg, BAYERN

NURTEN ÖZCELIK

Stadtverordnete - Herne, NRW

AHMED ABED

Bezirksverordnetenversammlung - Neukölln, BERLIN

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JOSEPH NDOGMO (FWW)

"Wenn ein Weißer im hintersten Dorf in Kamerun Bürgermeister werden wollte, würde ich auch zweimal überlegen, ob ich ihm meine Stimme geben würde."

FAMILIENGESCHICHTE

Der Weg nach Erdweg führt von Kamerun über die DDR.

HEIMAT

Kirche, Schützenverein und nicht selten im Janker:
Joseph Ndogmo ist in der bayerischen Provinz angekommen.

POLITISCHE ARBEIT

Dr. Joseph Ndogmo will Alltagsprobleme lösen.

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HEIMAT

Nurten Özcelik ist ein waschechtes Ruhrpottkind.

FAMILIENGESCHICHTE

Nurten Özceliks Eltern kamen als Gastarbeiter ins Ruhrgebiet.

LOKALPOLITIK

Nurten Özcelick will Brücken bauen zwischen den Kulturen.

NURTEN ÖZCELIK (SPD)

"Die erste türkischstämmige Verordnete der Stadt Herne zu sein macht mich nicht stolz sondern traurig."

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AHMED ABED (DIE LINKE)

"Ich möchte, dass die Geschichte meiner Eltern Teil der deutschen Geschichte wird."

HEIMAT

In einem Bezirk, in dem die Mehrheit der Bürger einen Migrationshintergrund hat, ist Ahmed Abed zuhause.

POLITIK

Als Lokalpolitiker kämpft Ahmed Abed gegen Armut und Rassismus.

GESCHICHTE

Ahmed Abeds Eltern flohen aus Palästina nach Deutschland und bauten sich hier ein neues Leben auf.

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Hintergrundsinfos

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Warum heißen alle Klaus? Das war die Ausgangsfrage, die uns dazu motiviert hat, dieses Projekt zu starten. Denn wenn man sich die Listen von Politikern in Deutschland anschaut, findet man fast nur deutschanmutende Namen. Wir wollten wissen, wie viele von ihnen nicht aus Deutschland stammen. Und in der Tat: Unsere Recherchen haben ergeben, dass die größte Mehrheit unserer Entscheidungsträger aus Deutschland stammen – ob im Bund, in den Ländern oder in den Kommunen.

Beispiel: Im Bundestag haben in der jetzigen Periode lediglich 58 von 709 Bundestagsabgeordneten einen sogenannten "Migrationshintergrund". Und das obwohl Menschen mit Einwanderunsgeschichte 23 Prozent der Bundesbürger ausmachen. Dabei können Politiker mit einer eigenen Migrationsgeschichte helfen, die Belange dieser Bürger zu verstehen und anzugehen.

In den Gremien der über 11.000 Kommunen in Deutschland gibt es keine Zahlen über die Präsenz von Politikern mit "Migrationshintergrund. Doch unsere Stichproben haben ergeben: Je mehr man ins Kommunale rutscht, desto weniger sind sie vorzufinden.

Offiziell wird das Kriterium „Migrationshintergrund“ von politischen Fraktionen in den Kommunen nicht erfasst. Erst nach direkter Anfrage bekamen wir Antworten. Aber nicht alle waren bereit, uns Zahlen zu liefern. Wir wollten wissen, wie es denen geht, die geleichzeitig eine Migrationsgeschichte haben und Politik machen. Welche Themen sind ihnen wichtig? Welche Widerstände tun sich auf? Wie gehen sie damit um?

Wir haben drei Politiker begleitet, die sich durch die kommunalen Strukturen durchschlagen. 
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Per Definition hat ein Mensch dann Migrationshintergrund, wenn die "Person selbst oder mindestens ein Elternteil nicht mit deutscher Staatsangehörigkeit geboren wurde". So schreibt es das Statistische Bundesamt.

Demnach hat in Deutschland fast jeder Vierte einen Migrationshintergrund - exakt sind es 23,6 Prozent. Die allermeisten von ihnen leben in den alten Bundesländern. In den neuen ist es nur jeder Fünfzehnte Bürger.

Die Daten stammen aus dem Mikrozensus 2017 – einer repräsentativen Haushaltsbefragung, bei der ein Prozent der Bevölkerung stellvertretend für die gesamte Bevölkerung zu ihren Lebensbedingungen befragt wird. Seit 2005 wird bei der statistischen Erhebung gezielt nach dem "Migrationshintergrund" gefragt, und mindestens genau so lange wird über diese Tatsache und den Begriff gestritten.

Zuvor wurde nur zwischen "Deutschen" und "Ausländern" unterschieden. Durch die neue Differenzierung kann man seit 2005 genauer hinschauen und hofft zum Beispiel, Diskriminierungen aufgrund der Abstammung besser aus der Statistik herausfiltern zu können.

Andererseits üben vor allem Migrantenverbände starke Kritik an der Definition. Viele Menschen, die wegen ihres Namens oder Aussehens diskriminiert würden, tauchten in der Statistik gar nicht auf, sagen sie. Andere, wie das in Deutschland geborene Kind einer deutschen Mutter und eines schwedischen Vaters beispielsweise, mit blonden Haaren und deutschem Namen, würden die Daten verwässern.

Denn nur selten sind "Deutsch aussehende" Menschen von Diskriminierung betroffen. Manchen ist deshalb die Bezeichnung "People of Color" lieber, ein Begriff für Menschen, die in der Mehrheitsgesellschaft als nicht-weiß angesehen werden und sich wegen ethnischer und/oder rassistischer Zuschreibungen Rassismus ausgesetzt fühlen. Die Neuen Deutschen Medienmacher, ein Verein, der sich für mehr Vielfalt in den Medien einsetzt, schlagen "Menschen aus Einwandererfamilien" als Umschreibung vor.

Im direkten Gespräch mit Betroffenen haben wir gemerkt, dass sich gerade deutsche Staatsbürger mit Migrationsgeschichte zu sehr auf ihre Herkunft reduziert fühlen. "Warum geht es immer um meinen Migrations-Hintergrund, und nie um meinen deutschen Vordergrund?!", sagte uns jemand.

Für unser Projekt haben wir uns viel mit den verschiedenen Begriffen beschäftigt, und uns schließlich entschieden, "Migrationshintergrund" zu verwenden, auch, weil wir so die Daten des Mikrozensus nutzen konnten. Wir verwenden ihn jedoch so wenig wie möglich.
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Das projekt

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Linda Vierecke (links):  "Wer macht eigentlich Politik für uns?", diese Frage treibt mich schon länger um. Das zunehmende Desinteresse vieler Menschen, die Abkehr von den Parteien und auch die wachsenden Sympathien in Teilen der Bevölkerung für den rechten politischen Rand - als Reporterin versuche ich die Geschichten dahinter aufzuspüren und zu erzählen. Irgendwann im Verlauf der Recherche zeigte mir der Berliner Lokalpolitiker Ahmed Abed einen Haufen Bilder von seiner Familie - ganze Fotoalben voller Erinnerungen aus Oldenburg und Gaza, um seine Familiengeschichte zu illustrieren. Das alles tragen so viele Menschen in Deutschland mit sich. Ein unglaublicher Schatz an Erfahrungen und Perspektiven.

Barbara Mohr (Mitte): Aufgewachsen bin ich in Köln-Mülheim, einem Stadtteil mit relativ hohem Anteil an Menschen mit Einwanderungsgeschichte. In meine Klasse gingen Schüler mit türkischen, irakischen und italienischen Wurzeln. In meiner Erinnerung waren sie immer ein Teil von uns, für uns waren sie nicht anders. Erst durch die teils sehr emotionalen Gespräche mit Nurten Özcelik, der Lokalpolitikerin aus Herne, ist mir klar geworden, dass sich auch meine Mitschüler wahrscheinlich nicht gleichwertig gefühlt haben, dass wir doch in getrennten Welten gelebt haben. Das hat mich sehr nachdenklich gemacht. Heute arbeite ich als freie Journalistin und freue mich, dass ich Geschichten - wie die von Nurten Özcelik - erzählen kann.

Khalid El Kaoutit  (rechts): Ich kam 2001 nach Deutschland mit dem Traum, Demokratie zu leben. Geglückt! Durch meine Arbeit als Journalist konnte ich die Umbrüche in der arabischen Welt aus der Nähe erleben. Den Aufbau von Demokratien (oder auch nicht) in dieser Region kann ich durch meine Tätigkeit in der Medienentwicklungszusammenarbeit aus nächster Nähe beobachten. Gerade dabei ist mir eins klar geworden: Demokratie beginnt auf lokaler Ebene, egal wo. Und da geht es nicht nur um Parkraumbewirtschaftung, Grünanlagen oder Kitafragen. Es geht um das Zusammenleben, um das Mitbestimmen, um das Mitgestalten.
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 "Sehr geehrte Frau Vierecke, Frau Mohr und Herr El Kaoutit,

Migrationshintergrund wird in unserer Fraktion nicht hinterfragt oder bewertet. (...) Wer die deutsche Staatsbürgerschaft erhalten hat, sollte folgendermaßen integriert sein: die deutsche Sprache beherrschen, unsere Kultur kennen, sich zum Grundgesetz bekennen und unsere gesellschaftlichen Regeln einhalten. Ist das voll und ganz der Fall, dann spielt das Merkmal „Migrationshintergrund“ keine Rolle mehr."

So lautete die Antwort der AfD in Berlin Marzahn-Hellersdorf auf unsere Anfrage, wie viele Mitglieder ihrer Fraktion einen Migrationshintergrund haben. Wir sind baff. Für unsere Reportage wollen wir  stichprobenartig Daten sammeln. Mit dieser Antwort der AfD haben wir nicht gerechnet. Doch immer wieder stoßen wir an Grenzen. Die allermeisten Fraktionen haben dieses Kriterium nicht erfasst. Ob jemand Migrationshintergrund hat, interessiert in der Politik offenbar erst einmal nicht – auf Lokalebene, wo das Engagement ehrenamtlich ist, noch viel weniger.

Allein an den Namen können wir es manchmal ahnen, ob jemand ausländische Wurzeln hat, aber darauf allein wollen wir nicht vertrauen. Viele Fraktionen bemühen sich trotzdem, dies für uns herauszufinden, nachdem wir unser Anliegen erklären. Nur die AfD in Marzahn-Hellersdorf verweigert sich, weil dieses Kriterium ihrer Meinung nach keine Rolle spiele. Spielt es doch, sagen unsere Protagonisten, sagen andere Politiker, sagen Studien. Am Ende sagt uns das sogar ein AfD-Politiker mit Migrationshintergrund aus Niedersachsen. Der möchte aber lieber anonym bleiben.

Gern hätten wir auch einen Lokalpolitiker der AfD portraitiert, aber mögliche Kandidaten wollten nicht vor die Kamera. Mit Nurten Özcelik (SPD), Ahmed Abed (Die Linke) und Joseph Ndogmo (parteilos) haben wir drei ganz verschiedene Politiker-Typen gefunden. Auch die Orte, an denen sie wirken, könnten unterschiedlicher nicht sein: Ahmed Abed, der im Berliner Szene-Kiez Neukölln wirkt, wo es besonders viele Menschen mit Migrationshintergrund gibt und jede Menge soziale Probleme; Joseph Ndogmo, der Politik in einer kleinen Gemeinde im Mustersstaat Bayern macht. Und dann ist da auch Nurten Özcelik, die in einer Region zu Hause ist, die in den 50er und 60er Jahren besonders viele sogenannte Gastarbeiter angeworben hat, auch ihre Eltern.

Politik ist nie unabhängig vom Ort. Dennoch vereint die drei dieses eine Merkmal: Sie selbst oder ihre Eltern, sind nicht in Deutschland geboren. In Stadt- oder Gemeinderäte sind sie nur selten vertreten. Vor allem Frauen mit Migrationshintergrund engagieren sich nur selten politisch. Nurten Özcelik war für uns daher ein Glücksgriff, sie zeigt aber eben auch, dass Lokalpolitik ein hartes Geschäft ist, für das man vor allem viel Zeit benötigt.


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Ein Gemeinschaftsprojekt von Barbara Mohr, Linda Vierecke und Khalid El Kaoutit.

Was wir genau gemacht haben, steht hier:
- Recherche zu Fakten und Zahlen zum Thema Lokalpolitiker mit Migrationshintergrund;
- Daten sammeln Stichprobe zu Politikern mit Migrationshintergrund in Berlin, Nordrhein-Westfalen und Bayern;
- Protagonisten-Recherche zahlreiche Treffen mit Politikern mit Migrationshintergrund;
- Organisation von Filmdrehs an drei verschiedenen Orten Deutschlands;
- Filmisches Begleiten von drei Lokalpolitikern bei ihrer Arbeit, in ihrer Heimat;
- Vor Ort Besuch zahlreicher lokalpolitischer Veranstaltungen;
- Fotos von unseren Lokalpolitikern und ihren Wirkungsstätten;
- Schnitt von 22 Stunden Videomaterial;
- Texten sowie Bau des Pageflows, einer multimedialen Webseite zum Thema Politiker mit Migrationshintergrund.

Unterstützt wurde das Team von Florian Mettke (Dreh Ahmed Abed & Feinschnitt), Peter Wozny (Dreh Nurten Özcelik), Robyn Schmidt (Recherche) und Diana Hodali (Redigieren).
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Diese Recherche und die Umsetzung als Pageflow war nur möglich durch die Unterstützung vom Verein "Fleiß und Mut" –  zur Förderung hochkarätiger Recherchen.
Durch das "Kartographen-Stipendium" werden erfahrene JournalistInnen bei ihren Recherchen unterstützt.
Die Jury hat unser Projekt unter anderem auch ausgewählt, da gerade die Lokalpolitik sonst wenig im medialen Fokus steht.
Uns hat das Stipendium ermöglicht, ein großes Projekt anzugehen, auf Protagonistensuche zu gehen, intensiv und tiefgreifend zu recherchieren und an einem multimedialen Projekt – einmal unabhängig von Deadlines und Zeilenlängen – gemeinsam zu arbeiten.



http://fleissundmut.org


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Joseph Herkunft

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21. September 1986. Joseph Ndogmo am Tag seiner Ausreise aus Kamerun. Seine Eltern haben ihn zum Flughafen in Douala gebracht. Zum ersten Mal in seinem Leben wird er für längere Zeit weg sein.

Er war gerade 18 Jahre als, als ihn seine Regierung mit einem Stipendium in die ehemalige DDR zum Studieren schickte. Dass Deutschland einmal die Heimat seiner Kinder werden würde, ahnte er damals nicht. Auch, dass die DDR drei Jahre später zu Ende gehen würde, wusste damals niemand. "Ich habe den Kommunismus und die Wende live miterlebt", erzählt Ndogmo.

Joseph Ndogmo wurde im April 1968 in der kamerunischen Hauptstadt Yaoundé geboren. Seine Mutter war Lehrerin, sein Vater Schulinspektor. Mit seinen sechs Geschwistern und seinen Eltern reiste er viel im Land herum, weil sein Vater oft den Arbeitsplatz wechselte.

Vor mehr als 30 Jahren ist er nach Deutschland gekommen. So lebt er schon weit mehr als die Hälfte seines Lebens in diesem Land. Noch immer fühlt er sich als Kameruner. "Das wird sich niemals ändern", sagt er.
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Nach seinem ersten Jahr in Leipzig spricht er bereits passabel Deutsch und kann problemlos seinen Vorlesungen im Fach Mathematik folgen.

In Dresden schließt er 1992 sein Studium im Fach Ingenieurbauwesen ab. Das Foto zeigt seine kamerunische Studiengruppe beim Diplomempfang. Eigentlich wollen sie alle damals wieder zurück nach Hause. Aber es sollte anders kommen.
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12.000 ausländische Studierende zählt die DDR in dieser Zeit. Bei der Belegung der Studentenwohnheime wird darauf geachtet, dass sie mit deutschen Studenten untergebracht sind. Das soll ihnen helfen, schneller Deutsch zu lernen und sich an der Uni zurecht zu finden.

Bei Prüfungen und Seminararbeiten gibt es für die nicht-deutschen Studenten keine Ausnahmen. Später werden sogenannte Betreuerstudenten eingeführt, die ihre ausländischen Kommilitonen gezielt unterstützen sollen.

Diese "verordnete Völkerfreundschaft" wirkt. In 
Fachartikeln kommen Experten heute zu dem Schluss, dass es vor allem dieser Durchmischung zu verdanken war, dass an den Unis in der ehemaligen DDR kaum Vorfälle von Rassismus und Diskriminierung gemeldet wurden.

Das Foto zeigt Joseph Ndogmo und seine Studienfreunde an seinem 20. Geburtstag.


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Nach der Wende geht Joseph Ndogmo nach Bayern,
mitten in die Großstadt München.

Mindestens alle vier Jahre reist er nach Kamerun
und besucht seine Familie. Auf einer der Reisen
lernt er Christiane kennen. Bald heiraten sie in
Bafou und gehen gemeinsam nach Deutschland.
"Wir wussten beide, dass eine Rückkehr nach
 Kamerun keine Option mehr für uns war."
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1992 arbeitet Joseph Ndogmo erst einmal als
wissenschaftliche Hilfskraft am Lehrstuhl für
Stahlbau an der Technischen Universität München.
Kurz darauf promoviert er dort.

Seit 1997 darf er sich Dr.-Ing. Joseph Ndogmo nennen.

Seine Karriere an der Uni geht weiter. "Ich bin jetzt
bayerischer Beamter auf Lebenszeit", sagt er und
steht mit einem breiten Grinsen vor uns. Sein
Lachen ist ansteckend. Auch wenn er nur über
Brückenbau, Schweißtechnik oder Stahlbau
referiert: Er tut es mit Verve.
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Joseph Ndogmo hat es geschafft.
Vom ehrgeizigen jungen Studenten
aus Kamerun, mit 18 Jahren ohne
Deutschkenntnisse eingereist, bis
zum Beamten auf Lebenszeit.

Heute steht er vor seinen Studierenden und
teilt Prüfungsblätter aus. Wer hier seinen
Master in Metallbau machen möchte, kommt
an Dr. Ndogmo nicht vorbei.

27 Prozent der Studierenden an der TU München
kommen aus dem Ausland. Für sie ist er nicht nur Akademischer Oberrat, sondern auch Vorbild.
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Joseph Heimat

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Rund 40 Kilometer hinter München liegt Welshofen, ein Ortsteil von Erdweg. Ein typisches Pendlerörtchen. Jeder hat sein Eigenheim mit kleinem Garten. Alles, was das Bayernherz begehrt. Ein Wirtshaus, 6.070 Einwohner, aber nur eine Familie, die Wurzeln in Afrika hat.

Hier hat Joseph Ndogmo ein Zuhause gefunden.
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Welshofen, Ortsteil von Erdweg. Gemeinde Dachau.
Hier ist Joseph Ndogmo seit sechs Jahren zu Hause.
Er hat ein Haus gebaut, und lebt hier mit seiner Frau
und seinen drei Kindern.  

In Welshofen trifft man sich am Wochenende zum Frühschoppen und Weißwurscht essen. Joseph ist
immer mit dabei, auch wenn er weder Alkohol trinkt,
noch Fleisch isst. Für ihn ist Bayern Heimat geworden.
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Zum bayerischen Dorfleben gehört der Schützenverein fest dazu. Joseph Ndogomo ist Mitglied im "SV Eichenkranz Unterweikertshofen e.V.".

"Schießen hat mich immer fasziniert", sagt Ndogmo und legt die Waffe nieder. "Und ganz nebenbei bin ich hier auch noch mit ein paar Menschen zusammen!"





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Joseph Ndogmo ist noch Anfänger - viele der Männer kommen schon seit Jahrzehnten in den Schützenverein. Norbert Gau sitzt im Rollstuhl. Er hat sogar als Sportschütze an den Paralympics teilgenommen.

Doch die Leistung sei gar nicht so wichtig, sagt Andreas Loibl, Vorstandsmitglied im Schützenverein. Geduldig richtet er für Jospeh Ndogmo den Schießstand ein. Es ginge vor allem um das Miteinander, um das Weißbier danach.

Und noch etwas ist Loibl wichtig: Sein Verein ist viel moderner, als er auf den ersten Blick wirken mag. Den Vorsitz hat seit vier Jahren schon eine junge Frau - seine Tochter Heidi Loibl. Im Nachwuchsbereich gebe es inzwischen mehr Mädchen als Jungs. Und neulich habe sich auch ein afghanisches Mädchen aus der nahegelegenen Flüchtlingsunterunft für den Verein interessiert. Da sei ein Joseph Ndogmo gar nicht so außergewöhnlich.
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Sonntagmorgen, 8 Uhr. Heilige Messe in der Kirche St. Peter. Auch das gehört zum bayerischen Dorfleben.

Joseph Ndogmo und seine Frau Christiane sind mit dabei. Wie wichtig ist es, dass sie selbst Christen sind? "Klar, das macht es einfacher", sagt Joseph Ndogmo. Auch in Kamerun ging seine Familie sonntags in die Kirche. Dafür steht er gerne früh auf.

Und auch hier hat es nicht lange gedauert, bis Jospeh Ndogmo sich besonders engagiert hat. Er ist Mitglied im Pfarrgemeinderat. Im Gottesdienst übernimmt er manchmal die Lesung.
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Noch etwas hat Jospeh Ndogmo immer
geholfen, schnell Anschluss zu finden:
"Ich habe Sport gemacht, egal, wo ich war".

In Kamerun hat er als Jugendlicher Fußball und
Tennis gespielt. Bei den lokalen Meisterschaften
gewann er 1984 den ersten Platz. In Deutschland
kam noch eine Sportart dazu: Marathon.

Dieses Bild zeigt ihn als Student in Dresden,
wo er sich gleich ein altes Rennrad gekauft hat.
Später in Dresden und München hat er viel
Fußball gespielt.
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Auf dem bayerischen Land hat Joseph Ndogmo das Tennisspielen für sich wiederentdeckt. Er ist Mitglied beim TC Erdweg und wurde dort nach nur zwei Jahren zum Jugendwart gewählt.

Stolz erzählt er, dass der Verein anfangs Nachwuchsprobleme hatte. Vor allem im Winter seien nur wenige Kinder zum Fitnesstraining in die Halle gekommen. Heute ist das Training gut besucht. "Sport ist wichtig", sagt er. "Er macht die Kinder selbstbewusst und bereit für das Leben."

Es ist schon spät, der Tag war lang. Joseph Ndogmo schaut kurz zu, spricht mit den Jugendtrainern, erkundigt sich, ob alles in Ordnung ist. Noch so ein Ehrenamt. Er kann nicht anders.
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Joseph Politik

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Alle sechs Jahre wird in Erdweg ein neuer Gemeinderat gewählt, zuletzt 2014.

Themen, die in den Sitzungen auf der Tagesordnung stehen:
- Umbau eines Einfamilienhauses in Großberghofen
- Änderung des Flächennutzungesplans in Kleinberghofen
- Neuer Standort für ein Buswartehäuschen in Welshofen

Insgesamt sitzen 20 Menschen im Gemeinderat. Die größte Fraktion stellt die CSU mit sechs Mitgliedern, inklusive Bürgermeister. Die SPD hat einen Vertreter. Außerdem gibt es freie Wählergemeinschaften aus den verschiedenen Gemeindeteilen.  

Joseph Ndogmo ist seit 2014 dabei. Er vertritt die Freie Wählergruppe Welshofen (FWW). 
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Wir möchten bei einer Sitzung des Gemeinderats dabei sein und zeigen, wie die Arbeit von Joseph Ndogmo und seinen Mitstreitern aussieht.

Wie bei den anderen beiden Lokalpolitikern in Herne und Neukölln haben wir auch in Erdweg unser Kommen angekündigt und um eine Drehgenehmigung gebeten. In der Regel ist das eine kleine Formalität. Meist freuen sich die Menschen im Rathaus, dass wir uns für ihre Arbeit interessieren.

In Erdweg aber stoßen wir zu unserer Überraschung auf Ablehnung.
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Der Bürgermeister Christian Blatt (CSU) weist zu Beginn der Sitzung darauf hin, dass die Anwesenden erst einem Dreh zustimmen müssten. Schon im Vorfeld, so erzählen uns hinterher einzelne Mitglieder, hatte er in einer E-Mail davon abgeraten, dies zu tun.

Auch jetzt zeigt er deutlich seine Skepsis, und sagt in seiner Ansprache an den Gemeinderat: "Es geht bei dem Projekt nicht um Sachpolitik, sondern rein um Joseph als Kommunalpolitiker." Dann lässt er abstimmen. Er selbst stimmt gegen den Dreh.

Das Ergebnis fällt knapp aus, doch wir müssen die Kamera einpacken.

In der Sitzung geht es um Dachgiebel, ein Neubaugebiet und einen Funkmast. Warum soll das nicht gefilmt werden?
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"Hohe Emotionen" gab es wenige Monate zuvor rund um die Bürgermeisterwahl.

Der bisherige Bürgermeister der Gemeinde, Georg Osterauer (Freie Wähler), war überraschend verstorben. Deshalb wurden Neuwahlen angesetzt.

Lange sah es so aus, dass der bisherige Stellvertreter, Christian Blatt (CSU), keinen Gegenkandidaten haben würde. Doch dann kam Joseph Ndogmo.
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Joseph Ndogmo ist ein bekanntes Gesicht in Erdweg.
Er engagiert sich im Sportverein, ist Mitglied im
Schützenverein und geht sonntags in die Kirche.

Im Wahlkampf geht er zusätzlich von Tür zu Tür.
Buchstäblich. Seine Flyer wirft er jedem Bewohner
der Gemeinde persönlich in den Briefkasten und
führt dabei viele Gespräche. Das kommt gut an.
Die Freie Wählergruppe ist froh über ihren
ungewöhnlichen Kandidaten.

Doch vereinzelt gibt es auch kritische Stimmen.
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Der Wahlkampf in Erdweg wird mit Spannung verfolgt, auch weit über die Gemeinde hinaus. "Schwarzer Bürgermeister im bayerischen Dorf" titelt zum Beispiel die Süddeutsche Zeitung, und sie sagt mit dieser Überschrift vor allem eins: Es ist noch lange nicht normal.

Der Bayerische Rundfunk schickt ein Fernsehteam zur Podiumsdiskussion mit Joseph Ndogmo und seinem Konkurrenten Christian Blatt, in der es um die Ausweisung von Baugebieten und verbesserten Breitbandanschluss gehen soll.

So etwas hat Erdweg noch nicht erlebt.
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Am 24. September 2017 wird schließlich gewählt.

Die große Mehrheit, genau 62 Prozent, stimmt für den bisherigen Vize-Bürgermeister Christian Blatt. Joseph Ndogmo bekommt knapp ein Drittel der Stimmen. 5,4 Prozent stimmen für den dritten Kandidaten, Rolf Blass (Freie Wähler), der im Wahlkampf kaum in Erscheinung getreten ist.

Auf den ersten Blick eine Niederlage für Jospeh Ndogmo. Doch er ist stolz. "Ich habe mein Ziel erreicht und den Erdwegern eine echte Alternative geboten," sagt er am Wahlabend.
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Die eigentliche Enttäuschung kommt einen Monat später – bei der nächsten Gemeinderatssitzung. Dort wird von den Ratsmitgliedern traditionell der zweite Bürgermeister gewählt.

In den letzten Jahren ging dieser Posten stets an denjenigen, der bei der Bürgermeisterwahl die zweitmeisten Stimmen bekommen hatte. Doch im Herbst 2017 bricht der mehrheitlich CSU-besetzte Gemeinderat mit dieser Tradition.

Joseph Ndogmo wird nicht einmal für den Posten vorgeschlagen. Er muss sich selbst melden, darauf hinweisen, dass viele Bürger ihn gewählt haben und nun gerne wenigstens als Vize-Bürgermeister sehen würden.

Er verliert die Wahl deutlich. Nur zwei von 21 Mitgliedern stimmen für ihn.  

Doch Jospeh Ndogomo lernt, auch damit umzugehen.  
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Und so mischt Joseph Ndogmo weiter mit – im Gemeinderat, im Schützenverein, im Tennisclub, in der Kirche. Wo immer Menschen zusammenkommen, ist er dabei – obwohl er kein Weißbier trinkt und keine Weißwurst isst.

Zu seinem 50. Geburtstag im April 2018 hat das halbe Dorf mit ihm gefeiert.  
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Nurten_Herkunft

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Nurten Özcelik hat lange gesucht: Dies war das einzige Familienfoto aus ihrer Kindheit, das sie finden konnte. Den Nachwuchs zu dokumentieren war bei den Özceliks nicht üblich.

Nurten ist ein "Gastarbeiterkind": Die Eltern stammen aus der Provinz Zonguldak im Norden der Türkei, einer Region, aus der in den 1960er Jahren viele nach Herne ziehen. Der Vater findet Arbeit in der Zeche Blumenthal in Recklinghausen, die Mutter kümmert sich um die acht Kinder.

Nurten Özcelik wird 1971 in Herne geboren, als viertes Kind der Familie. Auch sie muss sich um die Geschwister kümmern, trägt viel Verantwortung. Immer wieder muss sie für die Eltern, die nur sehr wenig Deutsch sprechen, übersetzen.


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Nurten Özcelik durfte ihre Zeit nicht draußen verbringen. Ihre Welt war auf das Haus und den Hinterhof beschränkt. Sie wurde konservativ erzogen, auch Religion war den Eltern wichtig. Für die Mädchen der Familie hieß das: Handarbeit und Haushalt.

Schon damals hat sich die junge Nurten über diese Rollenverteilung gewundert und immer wieder Fragen gestellt. Doch nicht nur ihre Eltern und Geschwister, auch die Nachbarn passten auf, dass sich die Kinder an die Regeln hielten.
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Nurten Özcelik geht zunächst in eine sogenannte Migrantenklasse, wie fast alle Kinder aus Gastarbeiterfamilien in den 70er Jahren. Die Schüler werden dort von einem türkischen Lehrer unterrichtet. Doch Nurten Özcelik lernt so schnell Deutsch, dass ihr Lehrer sie bald für eine normale Grundschule empfiehlt. Das war damals durchaus ungewöhnlich.

Da steht sie nun inmitten ihrer Klassenkameraden, ein Klassenfoto wie dieses hatte sie sich immer gewünscht. Nurten Özcelik ist stolz, aber auch oft traurig und verwirrt. Immer wieder fühlt sie sich ausgegrenzt, denn in der Schule bleibt sie "die Türkin".

Später ist sie das einzige Mädchen in ihrer Nachbarschaft, das den Sprung auf die Realschule schaffte. Die deutsch-türkischen Freunde nennen sie deshalb "die Professorin".


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Während unseres Drehs kehrt Nurten Özcelik zum ersten Mal nach vielen Jahren zurück in den Hinterhof, wo sie als junges Mädchen so viele Nachmittage verbracht hatte. Die Eltern wohnen längst nicht mehr hier.

Damals habe das alles ganz anders ausgesehen, erzählt sie uns. Ein Hühnerstall habe da gestanden – und ein Kohleschuppen, viele Fahrräder.

Plötzlich kommen die Erinnerungen hoch.
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Die ganze Zeit über haben wir Nurten Özcelik
als sehr gefasst erlebt. Doch die Rückkehr
an diesen Ort geht ihr sehr nahe. Erinnerungen wühlen sie auf, die sie über all die Jahre verdrängt hatte.
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Doch nicht nur von den anderen Deutschen fühlt sich Nurten Özcelik damals ausgegrenzt. Auch in der türkischen Community, mit der sie aufwächst, eckt sie immer mehr an. Sie stellt die patriarchalen Strukturen infrage. Warum dürfen ihre jüngeren Brüder mehr als sie?

Als Jugendliche erlebt sie, wie für ein junges Nachbarsmädchen eine Hochzeit arrangiert wird. Das Mädchen möchte nicht heiraten, lässt sich von ihrer Familie aber überreden. Die junge Nurten ist entsetzt.
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Als sie 16 Jahre alt ist, wird auch um ihre Hand angehalten. Doch Nurten Özcelik wehrt sich und bricht aus. Sie beginnt eine Lehre als Rechtsanwaltsgehilfin und zieht in ihre eigene Wohnung. Unverheiratet. Für die Familie ein Skandal.

Als sie später einen deutschen Freund hat, wird sie von ihrem jüngeren Brudern bedroht, er drückt ihr ein Messer an den Hals. Nurten Özcelik wehrt sich auch diesmal und zeigt ihn an.
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Heute hat Nurten Özcelik mit ihrem Freund zwei Kinder. Ihre kleine Wohnung liegt in einer Reihenhaussiedlung am Stadtrand – Erdgeschoss mit einem kleinen Garten.

Mit ihren Eltern hat sie sich später wieder versöhnt. Nurten Özcelik ist sich sicher, dass sie am Ende stolz darauf waren, was aus ihrer Tochter geworden ist. Die Mutter ist Anfang 2017 verstorben, der Vater Anfang 2018 während der Dreharbeiten zu dieser Reportage. Mit einigen Geschwistern aber gibt es bis heute keinen Kontakt.
Für die türkische Community von damals hat Nurten Özcelik heute mehr Verständnis, sagt sie. Sie könne jetzt sehen, wie schwierig die Situation für die sogenannten Gastarbeiter damals war, und wie sehr sie mit ihren Problemen allein gelassen wurden.

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Nurten_Heimat

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Eine Stadt, wie so viele im Ruhrgebiet. Wo sie
anfängt und wo sie aufhört, ist nur schwer
zu erkennen in dieser Region, in der die Orte
ineinander wachsen und zu einer riesigen
verstädterten Zone verschmelzen.

In Herne leben sie besonders dicht beieinander.
154.000 Einwohner zählt die Stadt insgesamt,
im Schnitt sind es drei Menschen pro Quadratmeter.

Statistisch gesehen eine Großstadt, die jedoch umgeben
ist von viel größeren Städten wie Dortmund, Bochum und Gelsenkirchen. Eine Stadt irgendwo dazwischen.
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Herne selbst gleicht einem Flickenteppich. Im Laufe der Geschichte wurden immer wieder umliegende Ortschaften eingemeindet. 1975 kam die Großstadt Wanne-Eickel dazu.

Ein Zusammenschluss, mit dem viele Bürger bis heute nicht einverstanden sind. Wann immer wir während unseres Drehs mit Menschen sprechen, geht es sehr schnell darum, zu welchem Stadtteil sie gehören. Herne wirkt auf den ersten Blick immer noch geteilt. Nicht in Deutsche und Nicht-Deutsche oder Deutsch-Deutsche und Deutsch-Türken, wie wir vielleicht vermutet hätten, sondern in Alt-Herne und Wanne-Eickel.

Bis heute gibt es verschiedene Festnetz-Vorwahlen. Und seit einigen Jahren kann man sogar wieder verschiedene KfZ-Kennzeichen beantragen - HER und WAN. 
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Und Nurten Özcelik? Aufgewachsen ist sie
in einer Arbeitersiedlung in Horsthausen
im alten Herne. Heute wohnt sie in einem
Reihenhäuschen in Wanne-Eickel.

Sie hat quasi die Seite gewechselt - oder,
wie sie sagen würde, ihren Horizont erweitert.
Denn Nurten Özcelik sieht immer das Gemeinsame,
das Verbindende. 

Sie hat eine ganz eigene Erklärung, warum die Trennung manchen Mitbürgern so wichtig ist.
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Die guten alten Zeiten - auch das ist ein großes Thema hier. Die gesamte Region war über Jahrzehnte sehr stark vom Bergbau geprägt. Vier große und mehrere kleine Zechen mit über 12.000 Beschäftigten standen allein im heutigen Stadtgebiet von Herne, unzählige weitere in der direkten Umgebung. Auch die Stahlindustrie war groß. Sprich: Es gab reichlich Arbeit und viel Leben auf den Straßen. Viel Arbeit auch für die sogenannten Gastarbeiter.

Diese Zeiten aber sind vorbei. 1978 hat die letzte Zeche im Ort ihren Betrieb eingestellt. Die Arbeitslosenquote ist heute mehr als dreimal so hoch wie im Bundesdurchschnitt, im Jahr 2018 liegt sie bei rund 11Prozent.

Wie alle Städte im Ruhrgebiet hat Herne in den letzten Jahrzehnten einen riesigen Strukturwandel erlebt, und der scheint hier besonders schwierig. Herne hat keinen Fußballverein in der 1. oder wenigstens 2. Liga, so wie Dortmund, Gelsenkirchen oder Bochum. Die alten Industrieanlagen sind nicht so schön und gut erhalten wie in Essen, dass man sie zu Kulturstätten umwandeln und internationale Touristen anlocken könnte. Wieder liegt Herne irgendwo dazwischen.
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Geblieben sind die Menschen, die wegen der Zechen einst von weit weg hierher gekommen sind, die sogenannten Gastarbeiter.

Die Bundesrepublik schloss in den 1950er und 1960er Jahren mit verschiedenen Ländern sogenannte Anwerbeabkommen, 1961 auch mit der Türkei. Daraufhin machten sich viele tausend Türken auf den Weg ins Ruhrgebiet. In die Stadt Herne verschlug es besonders viele aus der nordtürkischen Provinz Zonguldak. Auch die Eltern von Nurten Özcelik stammen von dort.

Eigentlich wollten die Menschen damals nur zwei Jahre bleiben, doch daraus wurden erst zehn, dann zwanzig Jahre. Und dann blieben sie ganz. Heute haben 60 Prozent der Migranten im Ruhrgebiet türkische Wurzeln. Ihre Kinder sind in Deutschland geboren, sie wachsen auf mit zwei Kulturen, der türkischen und der deutschen.


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Dieses Aufwachsen mit zwei Identitäten, einer deutschen und einer türkischen, prägt eine ganze Generation der sogenannten Gastarbeiterkinder. Auch Nurten Özcelik beschreibt uns dieses Gefühl der Zerrissenheit – der Druck sich zwischen Deutschland und der Türkei entscheiden zu müssen.

Während unserer Arbeit an diesem Projekt, im Sommer 2018, erlebt und diskutiert ganz Deutschland dieses Thema in der sogenannten "Özil-Erdogan-Affäre".

Der Profi-Fußballer Mesut Özil ist ebenfalls Kind eines Gastarbeiters. Sein Vater kam 1961 aus der Türkei nach Gelsenkirchen, nur eine gute halbe Stunde von Herne entfernt. Für die Menschen im Ruhgebiet ist er einer von ihnen. Das Foto zeigt ihn links als kleinen Jungen auf einem typischen Bolzplatz. Lange Jahre galt Özil als Vorbild, als Beleg dafür, dass man es weit schaffen kann als Junge mit Einwanderungsgeschichte: bis in die deutsche Nationalmannschaft. Ein Musterbeispiel für gelungene Integration.

Nach dem frühzeitigen Aus der Nationalmannschaft bei der Weltmeisterschaft in Russland wird Mesut Özil jedoch zum Sündenbock. Der DFB kritisiert ein Treffen zwischen ihm und dem türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan. In Artikeln wird sein "Deutschsein" angezweifelt. Der Musterjunge für gelungene Integration wird plötzlich zum Symbol für das Scheitern. In einer schriftlichen Stellungnahme erklärt Mesut Özil schließlich seinen Rücktritt aus der Nationalmannschaft. Als Grund nennt er rassistische Anfeindungen.

Bild-Quelle: @m10_official

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Auch Nurten Özcelik trifft die Diskussion mit voller Wucht, denn es sind auch ihre ganz persönlichen Themen, die teilweise sehr hitzig diskutiert werden. Nicht zum ersten Mal hat sie das Gefühl, dass sie sich für ihre türkischen Wurzeln rechtfertigen muss.

Alle die Arbeit, all die Energie, die sie als Lokalpolitikerin und Mensch aufbringt, ist von dem Wunsch getrieben, zu versöhnen, Brücken zu schlagen, für Verständnis zu werben, die Kulturen einander näher zu bringen.

Auf ihrem Facebook-Account äußert sie sich im Sommer 2018 in einem langen Statement.
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Nurten Özcelik ist erschöpft von diesen
Diskussionen, doch sie kann und mag sich
nicht heraushalten. "Vor 60 Jahren kamen
mein Vater und die anderen Gastarbeiter
hierher," sagt sie, "und immer noch müssen
wir um Anerkennung kämpfen."

Ihre Heimat, Herne, das Ruhrgebiet, ist
untrennbar mit dieser Geschichte verbunden,
und Nurten Özceliks Geschichte wiederum
mit ihrer Heimat. Die anderen beiden
Lokalpolitiker, die wir in dieser Multi-Media-
Reportage begleiten, sind in ihrem Leben mehrfach umgezogen, haben die Stadt gewechselt oder sogar
das Land. Nurten Özcelik nicht. Sie ist immer in Herne geblieben.
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Nurten_Politik

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Im Integrationsrat wird heute über Rassismus im Alltag diskutiert. Nurten Özcelik hat sich mit dafür eingesetzt, dass das Thema kurzfristig auf die Tagesordnung kommt. Seit einigen Jahren ist sie stellvertretende Vorsitzende im Ausschuss.

Mehrmals meldet sie sich während der Sitzung zu Wort, erzählt von ihren eigenen Erfahrungen, stellt kritische Fragen. Schnell wird klar: Nurten Özcelik ist unbequem. Diskutieren alleine reicht ihr nicht, sie möchte, dass sich konkret etwas ändert. 
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Die kommunalen Integrationsräte sind ein Versuch, Menschen mit Migrationsgeschichte eine Stimme zu geben und sie an der Lokalpolitik zu beteiligen - auch wenn sie deutsche Staatsbürgerschaft besitzen. Die Ausschüsse haben in NRW aber nur beratende Funktion. Das heißt, sie sind darauf angewiesen, dass die politischen Entscheidungsträger ihnen auch zuhören und den Empfehlungen folgen. 

2013 hatte die rot-grüne Landesregierung alle Gemeinden mit mehr als 5.000 Ausländern verpflichtet, einen solchen Integrationsrat einzusetzen. Diese Pflicht wurde Ende 2017 mit Stimmen von CDU, FDP und AfD wieder abgeschafft. Die Gemeinden sollen nun selbst entscheiden, in welcher Form Ausländer an der Kommunalpolitik mitwirken können.

Der Integrationsrat der Stadt Herne besteht aktuell aus 23 Mitgliedern. Etwa Zweidrittel davon sind sogenannte Migrantenvertreter, die von den nichtdeutschen Einwohnern der Stadt direkt gewählt werden. Die übrigen acht Mitglieder sind Lokalpolitiker, die vom Rat der Stadt Herne benannt werden. Eine von ihnen ist Nurten Özcelik.


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2014 wagt Nurten Özcelik einen großen Schritt. Bei der Kommunalwahl kandidiert sie für den Rat der Stadt Herne. Nicht über eine Liste auf einem der hinteren Plätze, das hat sie schon einmal versucht. Diesmal stellt die SPD sie als Direktkandidatin auf, im Wahlbezirk 10 Eickel-West, mit eigenen Plakaten und Flyern. 

Seit 1948 war die SPD bei den Kommunalwahlen in Herne immer stärkste Kraft. Nurten Özcelik hat also viel Rückenwind. Und trotzdem heißt so eine Direktkandidatur auch: Gesicht zeigen, sich angreifbar machen, möglicherweise auch rassistisch angefeindet werden. 

"Also das war schon etwas, das mir ein bisschen Sorgen bereitet hat," erzählt sie, "weil das mit dem türkischen Namen nicht immer einfach ist." Im Nachhinein habe sie aber keine schlechten Erfahrungen gemacht. "Vielleicht mal der ein oder andere Kommentar in der Lokalzeitung", sagt sie, "aber nicht wirklich bösartig."
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Am 25. Mai 2014 wird in Herne gewählt.

Nurten Özcelik bekommt in ihrem Wahlbezirk Eickel-West 39,2 Prozent der Stimmen - neun Prozent mehr als ihr Konkurrent von der CDU und deutlich mehr als alle anderen Kandidaten.

Damit zieht sie für die SPD in den Rat der Stadt Herne ein. 55 Jahre nachdem ihr Vater und viele Tausend aus der Türkei in die Stadt kamen, wird sie das erste Ratsmitglied mit türkischen Wurzeln.
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PolitikerInnen wie Nurten Özcelik sind immer im Einsatz, ohne Bezahlung. Das geht auf die Knochen.

Nuten Özcelik sitzt
° im Stadtrat
° im Schulausschuss
° im Ausschuss für Soziales, Arbeit, Gesundheit und Senioren
° im Integrationsrat

Außerdem ist sie eine engagierte Netzwerkerin, ständig unterwegs und am Telefon, auch spät abends noch. Sie hat eine Partnerschaft mit türkischen Stadt Besiktas ins Leben gerufen und in Herne einen deutsch-türkischen Wirtschaftsgipfel organisiert. Aber auch für einzelne Schicksale setzt sie sich ein.

"Ich bin gewählt", sagt sie. "Da kann ich nicht nein sagen, wenn mich jemand um Hilfe bittet."


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Wichtig ist für Nurten Özcelik auch der Kontakt zur deutsch-türkischen Community. Wir bitten sie, uns mitzunehmen. Wir fahren mit ihr zu einem der vielen türkischen Teehäuser in der Stadt.

Gemeinsam betreten wir einen Ort, an dem wir ohne Nurten Özcelik wohl kaum gelandet wären. Für uns wird der Besuch zu einem Schlüsselmoment. Wir sehen und verstehen an diesem Abend noch besser, wie wichtig ihre Rolle als Türöffnerin und Brückenbauerin zwischen den Kulturen ist. In beide Richtungen.
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Da steht sie also, Nurten Özcelik, die als Kind so sehr gegen ihre türkischstämmige Nachbarschaft rebelliert hat. Selbstbewusst und emanzipiert, wird sie heute respektiert.

Und sie nutzt die Gelegenheit, einigen Männern hier einen Spiegel vorzuhalten. "Wisst ihr noch, wie ihr mich damals behandelt habt?" Sie will eine Brücke schlagen, helfen, dass die Menschen hier sich öffnen. Und gleichzeitig kann sie ihre Sorgen heute besser verstehen.

Viele hier sprechen immer noch kaum Deutsch und sind dankbar, dass Nurten Özcelik auch ganz praktisch hilft, kurz über Formulare schaut und Fragen beantwortet.
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Ahmeds Heimat

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° 328.000 Einwohner
° mehr als 80.000 Menschen beziehen Hartz IV
° 50 Prozent der Menschen haben einen Migrationshintergrund

Berlin-Neukölln gilt als "Problembezirk". Auch, weil es hier immer wieder Probleme mit Drogen und Kriminalität gibt.
Es ist der Berliner Bezirk, der immer wieder stellvertretend für die wichtigen Fragen der Integration steht. Lokalpolitiker müssen sie lösen und haben es mit ihren Ansätzen bis in die bundesdeutschen Schlagzeilen geschafft. Die ehemalige Neuköllner Bezirksbürgermeisterin Franziska Giffey sitzt mittlerweile sogar als Familienministerin am Kabinettstisch.
Die Kernfrage, die viele Politiker in Neukölln umtreibt ist: Wie kann Integration noch besser gelingen?
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Reich an Kultur, an Sprachen und an Geschichte, Heimat für 190 Nationen: Neukölln ist bekannt als bunter Szenekiez für Studenten und junge Kreative. In Neukölln leben besonders viele Menschen aus türkischen und arabischen Einwandererfamilien. Geschätzte 1500 Klein- und Kleinstbetriebe haben in Neukölln ein zu Hause gefunden. Doch der Hype um den Stadtteil hat auch zu steigenden Mieten geführt und verdrängt die, die einst wegen der bezahlbaren Wohnungen dorthin gezogen sind – damals, als der Kiez noch nicht so beliebt war.
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Nur wenige Gehminuten vom Rathaus
Neukölln entfernt, liegt Abeds Kanzlei.
Ein einfacher Raum auf einem langen Flur,
den er sich mit einem alten Freund teilt.
Ein Schreibtisch voller Dokumente. Kein
Vorzimmer, kein Schicki-Micki.

Ahmed Abed arbeitet in Neukölln als Anwalt
für Sozial- und Arbeitsrecht. Er setzt sich für
die Rechte der Alt-Neuköllner und der
Neuankömmlinge im Kiez ein. Er verteidigt
Künstler und Kulturschaffende, Alleinerziehende
und Geflüchtete.
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Politische Arbeit

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Ahmed Abed ist 2005 in die Partei Die Linke eingetreten. Seit 2012 sitzt er in der Bezirksverordnetenversammlung in Neukölln. Das regionale Parlament kontrolliert durch seine Arbeit die Bezirksverwaltung und "regt Verwaltungshandeln an".

Konkret heißt das: Die verschiedenen Ausschüsse beschäftigen sich mit den Problemen des Kiezes und formulieren Anträge. Werden diese in der Bezirksverordnetenversammlung verabschiedet, steht das Bezirksamt in der Pflicht sie umzusetzen.

Ahmed Abed ist in folgenden Ausschüssen tätig:
Ausschuss für Bildung, Schule und Kultur, 
Sportausschuss und Integrationsausschuss.

Mindestens zwei Abende in der Woche investiert Abed in die Bezirkspolitik. Dazu kommen Telefonate, Hintergrundtreffen und zahlreiche Gespräche mit Neuköllner Bürgern. Bezirkspolitiker arbeiten ehrenamtlich. Für diese Arbeit bekommt Abed eine Aufwandsentschädigung von rund 300 Euro im Monat.  
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"Die Parteien haben nicht viel erreicht"

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Die Bezirksverordnetenversammlung Neukölln hat 55 Abgeordnete. Davon haben lediglich SECHS einen Migrationshintergrund. 

Der Anteil der Menschen mit Migrationshintergrund im Bezirk liegt bei mehr als 50 Prozent.

In anderen Bezirken in Berlin haben unsere Stichproben ein ähnliches Bild ergeben: Menschen mit Migrationshintergrund gehen nur selten den Weg in die Politik. Es fehlen, bis auf wenige Ausnahmen, die Vorbilder. 

Die Parteien sagen, dass ihnen auch die möglichen KandidatInnen fehlen. Eine Quote für Menschen mit Migrationshintergrund gibt es auf den Wählerlisten der Parteien nicht, weder in der Bundespolitik, noch für die kommunalen Parlamente.
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Ahmed ist selbst kein gläubiger Muslim. Trotzdem wird er immer wieder als Muslim gesehen, "muslimisch gelesen", wie er sagt. Um in der Politik erfolgreich zu sein, sei das eher ein Nachteil.

Abed versucht aber seine Herkunft auch zu nutzen, denn für viele arabische Bürger ist sein Name auch ein Türöffner. Sie vertrauen ihm. Abed hält Kontakt zu den Moscheen in seinem Bezirk. "Dort sind die Leute halt", sagt er. Mit allen reden, integrieren - für ihn gehört das zur Politik dazu. 
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Ahmed_Herkunft

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Diab und Amna Abed in den 70er Jahren in Oldenburg, bevor sie ihre Familie gründeten. Beide kommen aus einem kleinen palästinensischen Dorf, das seit über 60 Jahre nicht mehr existiert. Aufgewachsen sind sie dann im Gaza-Streifen, wo bis heute große Teile der Familie leben.

Mit 19 Jahren ging Diab Abed nach Deutschland. Gegen den Willen seiner Eltern. Er wollte unbedingt Veterinärmedizin studieren, in Palästina hatte er dazu nicht die Möglichkeit. Seine Mutter wollte ihn nicht so weit weg von zu Hause wissen. Damals – Ende der 60er Jahre – gab es kaum Möglichkeiten, regelmäßig zu telefonieren.

Nach seinem Studium in Gießen, ging er mit seiner Frau nach Oldenburg, um dort als Tierarzt auf Schlachthöfen zu arbeiten. 1981 kam ihr Sohn Ahmed zur Welt. 
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Wenn andere Jugendliche im Sommer nach Spanien, Italien oder an die Nordsee fuhren, packte Familie Abed die Koffer und fuhr in in den Gaza-Streifen. Von Kairo aus ging es bis zur Grenze, dort, wo ein riesiges Flüchtlingslager war, das alle Klein-Kanada nannten. Dann ging es weiter in den Gaza-Streifen.

Den Eltern war es wichtig, dass ihre Kinder die palästinensische Kultur erleben. Ahmed Abed erfuhr auf den Reisen aber auch immer viel über die Weltpolitik. Diese Sommer waren ganz anders, als das bürgerliche Leben in Oldenburg. Hier war Ahmed Abed konfrontiert mit den Krisen der Welt.

Je älter er wurde, desto mehr nahm er die Gedanken um den Israel-Palästina-Konflikt mit in die deutsche Heimat. "Wir haben uns deshalb immer wieder mit den Themen Gerechtigkeit und Solidarität beschäftigt", sagt Ahmed Abed. "Wie kann man da als junger Mensch nicht politisch werden?"
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Heute ist Ahmed Abed der einzige in seiner Familie, der parteipolitisch engagiert ist. Politik ist aber oft Thema am Küchentisch in Oldenburg. Vater Diab Abed engagierte sich in den 70er Jahren für einen Staat Palästina. Das Nah-Mittel-Ost-Komitee in Gießen brachte ihn während des Studiums mit anderen Aktivisten zusammen.

Ahmed Abed erinnert sich noch heute daran, dass sein Vater ihm trotz seiner eigenen Vergangenheit als Aktivist als Jugendlicher verboten hatte, auf Demonstrationen zu gehen. Heute ist Ahmed Abed mindestens einmal im Monat bei Kundgebungen gegen Rechts oder für mehr soziale Gerechtigkeit dabei.
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Aufwachsen ist er in Oldenburg. Behütet.
Die Eltern sind muslimisch. Sie haben
ihren Kindern die Freiheit gelassen,
zu entscheiden, was sie wollen.

"Nicht immer waren sie zufrieden mit
unseren Entscheidungen. Aber welche
Eltern sind das schon?", sagt Ahmed Abed heute.
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Wo kommst du her?, wird er, der Jurist, der aktive
Politiker, der Deutsche oft gefragt.

"Aus Oldenburg!", sagt er und lächelt die Frage weg.
Ahmed Abed will über seinen "Migrationshintergrund" eigentlich nicht mehr reden. Denn diese Gespräche dienten
oft dazu, ihn auszugrenzen. Ihn, der seit seiner Geburt in Deutschland lebt, der keine andere Heimat kennt.
Er ist ein deutscher Staatsbürger. Punkt.

"Die Bezeichnung Migrationshintergrund ist rückständig. Müssten wir nicht viel eher darüber diskutieren, warum wir diese Debatte noch immer führen?", fragt er uns schon zu Beginn unserer Recherche. 



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